Lentikular Bilder / The Metaphysics of the Vanishing, 2000

„METAPHYSIK DES VERSCHWINDENS“

Ein Ausstellungsprojekt von Ralph Bageritz in Zusammenarbeit mit
The Art Loss Register, Deutschland Paris / St.Petersburg / New York

Kunst und Kunstdiebstahl – eine Verbindung, die in Zeiten der Konjunktur des Kunstmarktes bei gleichzeitigem Ansteigen von Kunstkriminalität wie die zwei Seiten einer Medaille anmutet. Tatsächlich ist der Schaden durch sich immer dreister gebärdende und häufig organisiert agierende Kunsträuber mittlerweile an einen der vorderen Ränge eines traurigen „Rankings“ gerückt: Kunstdiebstahl steht nach Drogenhandel und Waffenschmuggel bereits an dritter Stelle internationaler Verbrechen. Mit über 50% werden private Sammler zu Opfern von Kunstkriminellen, gefolgt von Museen, Kirchen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Selten sind es die Künstler selbst, die einen Diebstahl zu vermelden hätten. Und dennoch ist das Phänomen des Kunstraubs ein Thema, mit dem sich seit dem 20. Jahrhundert gerade Künstler auseinandergesetzt haben. So ließ sich auch Marcel Duchamp bei seiner ironischen Darstellung der Mona Lisa mit Schnurrbart (1919) von dem sich unmittelbar zuvor ereigneten Raub des Meisterwerks aus dem Louvre inspirieren. Verbergen, Erscheinen und Enthüllen zählen zu den ästhetischen Phänomenen, die Künstler seit jeher in den Bann geschlagen haben. Doch während die Präsenz und Absenz von Kunstwerken, ihr Verbergen und feierliches Enthüllen zu den kunsthistorisch tradierten Umgangsformen mit Werken der Kunst im Kontext religiöser Riten oder gesellschaftlicher Konventionen zählen, ist der Kunstdiebstahl aufgrund des Bruches von Tabus oder Normen von besonderer Brisanz. Es ist dabei nicht nur der materielle Wert, dessen sich der Räuber durch eine Straftat befleißigt, sondern immer auch ein unersetzbarer ideeller Wert, der durch einen Akt profaner Willkür der Raffgier zum Opfer fällt.

Kunst und Kunstdiebstahl – in den neuesten Arbeiten von Ralph Bageritz (*1958) gehen die beiden ungleichen Schwestern eine kunsthistorisch wohl einmalige Allianz ein. In Zusammenarbeit mit dem Art Loss Register Deutschland hat der Kölner Künstler Werke geschaffen, die unmittelbar auf gestohlene Kunstwerke verweisen. Für seinen Zyklus „Metaphysik des Verschwindens“ legt Bageritz Abbildungen von tatsächlich gestohlenen Kunstwerken und Sammlerstücken zugrunde, die auf der Datenbank des Art Loss Registers verzeichnet sind. Im Sinne einer Ästhetik der Absenz bringt Bageritz auf diese Weise im eigenen Werk zur konkreten Anschauung, was der Wahrnehmung durch Diebstahl, Raub oder Unterschlagung entzogen wurde. Seine Arbeiten werden zu Stellvertretern des Verschwundenen, zum Substitut des Abwesenden und greifen durch ihre irisierenden „Wechselbild“-Oberflächen (Lentikulartechnik, kaschiert auf Aluminium-Dibond) gleichzeitig das Thema des Sichentziehens in doppelter Hinsicht (materialikonographisch und rezeptionsästhetisch) auf. Durch den künstlerischen Bezug auf gestohlene und bis zum heutigen Tag abgängige Kunst wird im eigenen Werk das je andere sowohl als Singuläres thematisch, wie auch in seinen Eigenschaften als prinzipiell Wiederkehrendes. In der buchstäblichen Überlagerung verschiedener Bild- und Zustandsebenen mischen sich fremde und eigene Autorschaften zu einem dynamischen Gesamtensemble. Das Unsichtbare wird sichtbar, das Auseinanderliegende zur Gleichzeitigkeit gebracht. Durch die Umkehrung der Verhältnisse gelingt auf diese Weise ein Zusammenfall des Verschiedenen: War die Existenz der Kunst zunächst Bedingung für ihren Diebstahl, so gerät der kriminelle Akt bei Bageritz zur Vorraussetzung für die eigene Kunstproduktion. Stichwortartige Vermerke über Ort und Zeit des Diebstahls lassen keinen Zweifel an der Realität des Verbrechens wie gleichzeitig an der Virtualität der erscheinenden Bilder. Die Ebenen der Wirklichkeit, Authentizität, Reproduzierbarkeit, Materialität und Idealität von Kunst verflüssigen sich und bilden ein Verwirrspiel zwischen Evokation und verweigertem Zugriff.

Die Ausstellung zeigt neben den neuen Arbeiten auch frühere Werke von Ralph
Bageritz. Die aktuelle Werkserie „Metaphysik des Verschwindens“ wird auf diese Weise in den Gesamtzusammenhang des Œuvres gestellt und legt Bezüge zum Schaffen der 80er und 90er Jahre frei. Bageritz, der bereits in den 70er Jahren durch die Übermalung von Werbe-Anzeigen und Produkt-Logos Strategien der Werbe-Ästhetik konterkarierte, erscheint nicht nur durch den Einsatz unterschiedlichster Materialien und Techniken (Photographien, Collagen, Assemblagen, Objekte, Aktionen) selbst als „Kunst-Chamäleon“, das sich seiner von Unterhaltungsindustrie, Konsumrausch und Bilderflut geprägten Umwelt durch Mimikry perfekt anpaßt, sondern auch als Zeremonienmeister verschiedener Formen des Erscheinens und Verschwindens. Der Einzugsbereich seiner „Evokations“-Transaktionen umfaßt dabei nicht nur die eigenen biographischen Hintergründe wie die Suche nach dem verschollenen Großvater („Hermann Ruhmer – Wanted for Grandfather [mütterlicherseits]“, 1991) oder die Herleitung seines Namens durch Recherchen im Ort Bageritz („Der Ausflug nach Bageritz mit Abstecher nach Baselitz“, 1988/89), sondern auch die sozio-kulturelle Spurensuche im urbanen Kontext („Klingelbilder“ , 1993). Die Anonymität, Isolation, Entindividualisierung und Trostlosigkeit, die die Photographien der Klingelschilder transportieren, finden eine Entsprechung in „Wer nicht wirbt,der stirbt“ (Edinburgh, 1982), eine überarbeitete Photographie, die die latente Gewalt von Werbung im Titel-Bild-Bezug drastisch zutage fördert. So wie riesige Werbe-Flächen und Marken-Terror den Konsumenten zur leichten Beute werden lassen, so demaskiert Bageritz diesen „Feldzug“ durch einen in der Tat gleichwohl kühnen wie provokanten Umkehrungs-Versuch: Der Künstler bedient sich einer ähnlichen Konfrontations-Strategie, wenn er im Kontext einer künstlerischen Aktion in großen Handelsketten eine Dose Erbsen, ein Taschenbuch oder auch eine Jeans stiehlt, den Gegenstand auf dieseWeise dem Konsum entzieht und die „Beute“ anschließend – versehen mit Ort und Jahreszahl des Diebstahls – präsentiert wie eine Ikone („Stolen objects“ , 1973-1991). Verschwinden und Erscheinen – hier bezogen auf die schnellebige Welt des Alltags und der Werbung wörtlich verstanden.
Der neue Werkzyklus bildet eine konsequente Weiterentwicklung der zentralen und vielschichtigen Werkidee: das Phänomen des Verschwindens. Die Ausstellung zeigt Arbeiten von Ralph Bageritz, der sich dem Abwesenden und seiner Gegenwart aus verschiedenen Perspektiven gesellschaftskritisch oder ironisch genähert hat, unter thematischen Gesichtspunkten und versucht die komplexen Bezüge des Topos des Verschwindens herauszuarbeiten.

Das Art Loss Register

Das Art Loss Register ist ein internationales Unternehmen zur Aufklärung von Kunstdiebstahl. Mit Vertretungen in London, New York, Köln und St. Petesburg und mit ca. 30 Mitarbeitern besitzt es die umfangreichste private Datenbank gestohlener Kunst weltweit. 1991 gegründet, konnte das Register im letzten Jahr sein 10-jähriges Jubiläum begehen. Seit1997 existiert eine Dépendance in Deutschland, die seit 1999 in Köln ansässig ist. Alle vier Büros stehen der Öffentlichkeit für Registrierungen sowie für Anfragen an den Datenbankbestand zur Verfügung. Dank eines engen Netzwerks mit der internatiuonalen Versicherungswirtschaft, dem Auktionswesen, der Polizei, mit Galerien, Kunsthändlern, Museen und privaten Sammlern konnte das Unternehmen mittlerweile zur Identifizierung und Rückführung gestohlener Kunst im Wert von mehr als $ 100 Mio beitragen. Auf der Datenbank sind gegenwärtig fast 120.000 gestohlene Kunstwerke und Sammlerobjekte detailliert erfaßt. Für das Ausstellungsprojekt von Ralph Bageritz konnten dank der überwältigenden positiven Resonanz einer Vielzahl der geschädigten Abbildungen aus dem Original-Bestand der Datenbank zur Verfügung gestellt werden, aus denen Bageritz nach künstlerischen Kriterien eine eigene Auswahl für seine neuen Arbeiten getroffen hat. Das Art Loss Register Deutschland unterstützt das Projekt von Ralph Bageritz durch die Bereitstellung von anonymisierten Objektdaten aus zweifacher Hinsicht. Zum einen erkennt das Unternehmen in der künstlerischen Absicht von Ralph Bageritz eine überaus interessante Position zeitgenössischer Kunst. Zum anderen erhöht die Verwendung von Reproduktionen tatsächlich gestohlener Kunstwerke faktisch deren Wiederauffindungschancen. Art Loss Register finanziert sich über Zuwendungen der internationalen Versicherungswirtschaft sowie aus dem Auktionswesen. Zur Philosophie des Unternehmens zählt die Auffassung, daß eine zentrale Bezugsstelle für alle Fragen der Kunstkriminalität keines kostspieligen Marketings bedarf. Überzeugen will man vielmehr durch eine hohe Aufklärungsquote (ca. 24%), die auch „Beutekunst“ miteinschließt.
Ulli Seegers,
(Kuratorin der Ausstellung), 2002

Dank für Unterstützung: ARTAX Kunsthandel,Düsseldorf; Badisches Landesmuseum, Karlsruhe; Dorotheum, Wien; Fischerplatz-Galerie, Ulm; Heinrich Foss, Köln; Prof. Dr. Hartfiel, Euskirchen; Galerie Otto, Wien; Polizei Bremen, Jörg Rumpf, Köln; Dr. Kurt Sänger,Idar-Oberstein; Galerie Werner, Köln und Hiscox AG, München