STOLEN OBJECTS – Die Aufrichtigkeit des Künstlers am Ende des 20. Jhdts.

The b-AGE-ritz ® ©™§♫
FLANEUR IM SUPERMARKT DES ALLTAGS & DER KUNSTGESCHICHTE

Der Künstler Ralph Bageritz polarisiert: Tituliert als „100%iges Kind der Kapitalistischen Gesellschaft“1, „Größtes Arschloch aller Zeiten“2 oder „Überzeugungstäter“3, der „mit dem Bewußtsein der Gesellschaft arbeitet“4, läßt er seit jeher die Biographie in die Arbeit einfließen. Er zettelt mit seinem Namen Wortspiele an, versteht diesen gleichsam als Label und wird 1989 einem größeren Publikum bekannt – mit der Werkfolge Der Ausflug nach Bageritz mit Abstecher nach Baselitz – in einer Förderkoje der Internationalen Kunstmesse ART Cologne . Die deutsch-deutsche Geschichte und das damalige eigene Lebensumfeld – die Ehrenstraße in Köln – sind in diesen Jahren Thema und Motiv seiner Ausstellungskonzepte. Installationen, Photographien, Objekte und Skulpturen befinden sich in Kombination zueinander. Zeichnungen und Collagen, Malereien – und immer Plakate begleiten die Aktionen, zu denen er oft Künstlerkollegen einlädt.

Bageritz, spätestens seit seinem Studium bei dem Objekt-Künstler Daniel Spoerri (Mitbegründer der Künstlergruppierung Nouveau Réalisme , Anfang 1960), multimedial arbeitender Künstler, unternimmt Raubzüge durch die vermarktete Wirklichkeit. Das ist sowohl metaphorisch als auch wörtlich zu verstehen und seine frühen Stolen Objects (seit 1973), nachträglich untertitelt mit Die Aufrichtigkeit des Künstlers am Ende des 20. Jahrhunderts , zeugen davon. (Katalog zur Ausstellung „legal/illegal – Wenn Kunst Gesetze bricht/Art beyond Law“, NGBK – Neue Gesellschaft für Bildende Kunst und Corinna Weidner, Berlin, 2004 / S. 90 u. S.162.)
Er konstruiert Reklame für Kunst, denn ( Kunst ist generell Werbung – und zwar immer nur für sich selbst , 1989) wie einer seiner vielen Slogans lautet, und hinterfragt gleichzeitig die Rolle des Künstlers im aktuellen Kunst(werte)system. Bageritz prägt den Begriff Verbrecherkunst , „materialisiert zerbrochene Werbewelten in seinen Privatarchiven, zerlegt den medialen Nexus von Sinn und Bild, löst das Branding von Logo und Markenobjekt auf“, betrachtet jedes seiner Bilder als Filiale (aus: „Bageritz – Der Kurswert der Zeichen“, von Dr. Peter V. Brinkemper, 2001).

Resultat ist eine Zeichengebung, die in unerwartete Richtungen gelenkt wird, die provoziert, für Verwirrung sorgt, Denkanstöße lanciert. Urheberrechtliche Beschränkungen werden in Bageritz´ Kunst relativiert, konzeptuell aber auch außer Kraft gesetzt. Ein öffentlicher Disput mit Timm Ulrichs, der bereits Andy Warhol beschuldigte ein „unbefugter Nutznießer“ zu sein (ART, 10/90), belegt dies. Vgl. dazu: „Der bestohlene Dieb“, von Alfred Nemeczek, ART, 2/93; Volles Risiko , von Carl Friedrich Schröer, KUNSTZEITUNG, 4/99; „Leserbriefe“ KUNSTZEITUNG, 10/99; dann aber die gemeinsame Ausstellung mit Timm Ulrichs, Abramović/Ulay, Gibbs, Sigmar Polke u.a. in Der gestohlene Blick , Sonderschau zur Exponatec/Cologne Fine Art, Kuratorin: Ulli Seegers, Köln, 2006. Als Künstler, Sammler und Kurator in einer Person tritt Bageritz immer wieder auf, beispielsweise, wenn er Werke von anonymen Kopisten, unter anderem „Fälschungen“ von Originalen des chinesischen Shootingstars Yue Minjun, der mit seinen vielzahnig lachenden Chinesen zu Weltruhm gelangt ist, in einem Berliner China-Shop käuflich erwirbt, quasi annektiert und seinen eigenen Bild-Kompositionen einverleibt. In einem kalkulierten Prozess des Einfügens von Text-/ Mixed-Media-Details und seinem bevorzugten Silikon-Pointilismus / SillyCones = Lichtecht + Abwaschbar + Flexibel ) entstehen hintergründig-listige Bildmontagen, denen grundlegendes gesellschaftliches Prinzipiendenken wie z.B. Mein & Dein / Geben & Nehmen zugrunde liegen. Letztlich wird das scheinbar Illegale legal – die Kopie eindeutig zum Original.

Bereits in den frühen 80er Jahren wirkt Bageritz als Medienkünstler. Durch die gezielt pointierte Übermalung von Werbe-Anzeigen und Produkt-Logos „konterkariert er die Strategien der Werbe-Ästhetik, und erscheint nicht nur durch den Einsatz unterschiedlichster Materialien und Techniken selbst als Kunst-Chamäleon, das sich seiner von Unterhaltungsindustrie, Konsumrausch und Bilderflut geprägten Umwelt durch Mimikry perfekt anpaßt, sondern auch als Zeremonienmeister verschiedener Formen des Erscheinens und Verschwindens“. Dem Zyklus Metaphysik des Verschwindens (2001) legt Bageritz Abbildungen von tatsächlich gestohlenen Kunstwerken zugrunde und verarbeitet diese in einem photographisch digitalen Prozeß zu 2-phasigen Lentikular-Bildern. Im Sinne einer Ästhetik der Absenz bringt Bageritz auf diese Weise im eigenen Werk zur konkreten Anschauung, was der Wahrnehmung durch Diebstahl, Raub oder Unterschlagung entzogen wurde. “Kunst und Kunstdiebstahl gehen eine kunsthistorisch wohl einmalige Allianz ein.“ Bageritz´ Arbeiten werden zu „Stellvertretern des Verschwundenen, zum Substitut des Abwesenden und greifen durch ihre irisierenden Wackelbild-Oberflächen gleichzeitig das Thema des Sichentziehens in doppelter Hinsicht (material-ikonographisch und rezeptionsästhetisch) auf. War die Kunst zunächst Bedingung für ihren Diebstahl, so gerät der kriminelle Akt bei Bageritz zur Voraussetzung für die eigene Kunstproduktion. Stichwortartige Vermerke über Ort und Zeit des Diebstahls auf den Digitalprints lassen keinen Zweifel an der Realität des Verbrechens wie gleichzeitig an der Virtualität der erscheinenden Bilder. Die Ebenen der Wirklichkeit, Authentizität, Reproduzierbarkeit, Materialität und Idealität von Kunst verflüssigen sich und bilden ein Verwirrspiel zwischen Evokation und verweigertem Zugriff.“ (Ulli Seegers, Kunsthistorikerin / Kuratorin und ehemalige Geschäftsführerin des Art Loss Register, 2001). Darüber hinaus wird der Betrachter dieser Bilder zur Interaktion motiviert, zum Mittäter innerhalb eines Gesamtgeschehens, denn nur durch den eigenen körperlichen Einsatz, der stetigen Veränderung des eigenen Blickwinkels lassen sich Bild- und Textphasen erst erkennen, Bildinhalte perspektivisch hinterfragen.

Im April/Mai 2011, kurz nach der Verhaftung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, führt Bageritz in Shanghai eine Plakat-Suchaktion mit dem Titel Show Me The Way To Ai Weiwei durch, aus Solidarität für den Künstler, aber auch in Verbindung mit seiner eigenen konzeptuellen Vorgehensweise. Stand anfangs das gestohlene Objekt im Sinne der Metaphysik des Verschwindens im Vordergrund, so ist es nun The Vanished Subject , in Person des inhaftierten Regimekritikers. Zwei verschiedene Ai Weiwei Photo-Portraits, noch in Deutschland aus dem Internet entwendet , werden von Bageritz in einem Shanghaier Copy-Shop in einer Auflage von je 50 Exemplaren vervielfältigt, eine textliche und zeichnerische Überarbeitung erfolgt im Hotelzimmer. Die anschließende unautorisierte – weil sonst nie genehmigte – Plakathängung wird im öffentlichen Raum durchgeführt, vorrangig platziert an den zahlreichen Werbeplakatwänden im Zentrum Shanghais, frei zugänglichen Gebäuden wie Metro-Stationen und Kunstmuseen sowie dem PPAC / Chinese Propaganda Poster-Art Centre, Shanghai.

„Ralph Bageritz, Berliner Künstler, machte Bekanntschaft mit der chinesischen Polizei (…) Am letzten Tag seiner mehrtägigen Aktion im öffentlichen Raum wurde er beim Plakatekleben erwischt und verhaftet, musste anschließend sieben Stunden Verhör im Shanghaier Knast über sich ergehen lassen (…) Glücklicherweise bin ich nicht durchsucht worden – in meiner Umhängetasche befanden sich nämlich noch ca. 20 Plakate. Hätte man die gefunden, wäre ich wahrscheinlich komplett untersucht worden und heute noch nicht wieder zurück in Deutschland – so fand man den Chip nicht, den ich im Mund versteckt hatte. Es war exakt wie in einem Krimi. Ich konnte alle Photos und somit die Aktion retten. “ (Magazin Kunstforum International, „Personalien“, von Jürgen Raap,
2011 / Kölner Express: „Kölner Künstler wurde in Shanghai verhaftet“ / BILD-Zeitung: “Bei Protest-Aktion für Ai Weiwei – So versteckte ich den Kamerachip
im Mund“, 2011)

“Das Aktionistische, das zwischen anonymem und namentlichem Eingriff in den Alltag die Tradition von Happening und Fluxus anklingen läßt, kennzeichnet bis heute BAGERITZ`® Arbeit.” (Thomas Hirsch, „Corporate Identity – revisited“, Choices, Kino & Kunstmagazin, 2002)

Ralph Bageritz alias The b-AGE-ritz ®©§♫™, lebt und arbeitet in Berlin und Köln

© Fernand Sellefs, Phantomkünstler- und Kritiker, Rotterdam/Berlin, 2014

1) Frank Poersch: >Ralph Bageritz zu Kunst, Kommerz und Sex<, Kölner Stadt-Anzeiger, 1990:„Der Künstler selbst ist 100prozentiges Kind der kapitalistischen Gesellschaft; dies zeigt sich im Hauptausstellungsteil. 82 (!) Arbeiten im Format 50 x 50 cm hängen dicht an dicht an drei Galeriewänden. (…) In der Mitte des Raumes steht eine Werbetafel, die sich für das Sponsoring der Ausstellung bei einer Sexboutique bedankt.“

2)„Bageritz – Das größte Arschloch aller Zeiten!“, anonymer Brief an den Künstler inkl. gestalteter Karte mit aufgeklebtem Zeitungsausschnitt und einer handschriftchen Umrahmung des Photos des Künstlers (Bageritz präsentiert dem Pressephotographen zwei seiner gestohlenen Objekte in der Ausstellung >Stolen Objects – Die Aufrichtigkeit des Kuenstlers am Ende des 20. Jhdts.<), Galerie Ernesto+Krips, Köln, 1991. Katalog >Bageritz – 11 Jahre Ehrenstraße & Umgebung<, S. 276.

3) Hans-Werner Bott, Galerist und Kurator, Auszug aus >Bageritz & Bageritz – Künstler treffen Kunden<, Köln, 1994 / Kat. >Bageritz – 11 Jahre Ehrenstraße & Umgebung<, Hrsg. Stadtmuseum Köln / Verlag Constantin Post, 1995):

„Als Überzeugungstäter bleibt Bageritz seinem gesellschaftskritischen Entwurf treu, macht sich vor allen Dingen keinerlei Illusion über die Realität, die überall Markt ist (…), entwickelt gerade aus diesem Umstand eine Position der Bewegung, der Verantwortung und des Gebens (…). Diese Figur hat Timm Ulrichs nicht gedacht (…). Kippenberger schon, der dem Bageritz ja nahe steht – oh, Gott, wer wem, der große Kippenberger, der würfe ihm für jede geklaute Idee höchstens einen geknüllten Papiertiger hinterher. Und doch sind es ja keine geklauten Ideen, weil ja leicht zu beweisen ist, dass manches eben zusammengehört.“

4) Karl Marx, Künstler und Dekan der Kunstschule Köln, Auszug aus der Meisterschüler-Laudatio, 1989: „Bageritz arbeitet mit dem Bewusstsein der Gesellschaft! Absicht ist es, mit seinem Werk, dass freizügig mit den Medien zu schalten weiß, Bewegung in die Gesellschaft zu tragen, die zur erneuten Überprüfung festgelegter Wertvorstellungen führen soll, nicht nur im ästhetischen Bereich!“