RE-COLLAGEN – Mein Recht ist Dein Recht am eigenen Bild / 1980-2021
Seit 1980 befaßt sich Ralph Bageritz in dieser Form mit „Scherenschnitt“-Collagen, die er selbst, sich der kunsthistorischen Tradition bewußt, als RE- COLLAGEN bezeichnet und die folgerichtig ebenda auch einzuordnen sind. Die papiernen Bild-/Text-Arbeiten, werden zu Beginn des Entstehungsprozesses durch den Zufall generiert, sie sind Fundstücke eines Flaneurs, der Künstler, Sammler und Kurator in einer Person ist. Und zumeist sind sie auch STOLEN OBJECTS – einem der frühen Serienkonzepte und -titel von Bageritz entsprechend: „Die Aufrichtigkeit des Künstlers am Ende des 20. Jahrhunderts“ – und mittlerweile nun in aktueller Version zu Beginn des 21.Jahrhunderts. (Der sozial fragwürdige Aspekt, hinsichtlich der Entwendung aus dem Bereich des öffentlichen Lebens erscheint dem Künstler sehr wohl als problematisch, dennoch, vielleicht auch in Bezug auf den nur als gering einzustufenden Sachschaden, als entschuldbar, als „Übergriff“, künstlerisch frei interpretiert im Sinne eines Kardinal Frings¹, ohne den die Realisierung seiner Tatidee nicht möglich gewesen wäre. Gleichzeitig werden die Gegenstände, sowohl bei den STOLEN OBJECTS als auch bei den RE-COLLAGEN, die zuvor dem öffentlichen Konsum entzogen wurden, dem Rezipienten, falls er denn will, auf der Ebene der Kunstkontemplation sowie, und das soll nicht zynisch klingen, auf den freien Märkten des Kunst zurück gegeben.)
Denn viele dieser Arbeiten lassen Ausreißspuren an den Rändern der jeweiligen Blätter erkennen, ein wenn man so will, aktionistisches Detail, das nicht durch „säubernden und verschönernden“ Beschnitt, ähnlich einer Vedute, „nicht sichtbar“ gemacht wird, sondern im Gesamtkontext dem ästhetischen Resultat erhalten bleibt. Mediale Druckerzeugnisse, überwiegend aus den Bereichen der Kunst, des Lifestyle, der Politik, der Werbung, finden hierbei in erster Linie als RE-COLLAGE Verwendung – dienen als Vorlage um der vorgefundenen Frontseite, ein völlig neues Erscheinungsbild zu geben. Durch den auf der Rückseite präzise kalkulierten Scherenschnitt-Eingriff werden Textfragmente in die Vorderansicht des Bildes transportiert, wie durch das Aufstoßen eines Fensters. Die entstandenen Öffnungen werden mit meist farbigem Papier, changierender Folie, Staniol, etc. hinterklebt und somit verschlossen. Einhergehend mit einer letztlich als grundlegenden „Zerstörung“ zu bezeichnenden De-Konstruktion des „Originalbildes“, frappant vor allem dann, wenn es sich um tatsächliche Reproduktionsaufnahmen von Kunstwerken handelt, treten die neuen Textinhalte, oftmals wie an einer Nabelschnur hängend und das Geschehen überlagernd und durchkreuzend, in Korrespondenz mit der vorderseitigen Bilddarstellung, lassen neue Farb- und Bildkompositionen entstehen, neue Sinnzusammenhänge und Bedeutungsebenen. Hinter-gründiges gelangt nach außen, nach vorn – im wahrsten Sinne – in einem surrealen, radikal-absurden Verfahren des „Re-& Upcyclings“, verabschiedet als Gedicht (Poetry From behind) respektive als transformierte Ikone (Ästhetische Annektion).
© Fernand Sellefs, Phantomkünstler- und Kritiker, Rotterdam/Berlin, 2016
¹) Kölner Kardinal Frings, (1887-1978) ging mit dem Verb „fringsen“ in die deutsche Sprache ein. In seiner Sylvesterpredigt vom 31. Dezember 1946 billigte er den Kohlediebstahl in der Not. Danach nannte man in Köln und später in ganz Deutschland das Beschaffen von Lebensmitteln und Heizstoffen für den akuten Eigenbedarf durch deren einfaches Stehlen, Unterschlagen oder Veruntreuen „fringsen“. Weniger wahrgenommen wurde seine Aufforderung, „rückwärts zu fringsen“, indem man zugunsten Bedürftiger besondere Briketts kaufen konnte.